Pressemitteilung: Ohne größeres Vertrauen in den sicheren grenzüberschreitenden Austausch von medizinischen Daten ist die Zukunft der Genomforschung in Gefahr

Die größte jemals durchgeführte Umfrage zum Thema Genomforschung und Datenaustausch hat ergeben, dass weiter daran gearbeitet werden muss, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den grenzüberschreitenden Datenaustausch zu stärken. Nur so kann die Genomforschung ihr Versprechen, die medizinische Praxis und die Gesundheit der Menschen zu verbessern, halten.

Forscher*innen der Forschungsgruppe „Gesellschaft und Ethik“, die von Professor Anna Middleton an der Cambridge University koordiniert wird – darunter auch Barbara Prainsack, Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Wien, stellten in einer neuen Studie fest, dass weniger als die Hälfte der Befragten es begrüßen würde, wenn ihre genetischen Informationen für mehr als einen Zweck ausgetauscht würden.

Die Studie, die am 17. September 2020 im renommierten American Journal of Human Genetics veröffentlicht wurde, macht deutlich, wie wenig Menschen mit der Genomforschung vertraut sind, und wie gering die Bereitschaft ist, sich daran zu beteiligen. Dieses mangelnde Vertrauen in die Art und Weise, in der Daten (auch grenzüberschreitend) geteilt werden, könnte die Genomforschung erheblich behindern. Diese ist darauf angewiesen, dass Kliniker*innen und auch sowohl gemeinnützige und gewinnorientierte Forschung weltweit genetische Daten miteinander teilen können.

Um die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber der Genomforschung und der gemeinsamen Nutzung von Daten zu ermitteln, haben Forscher*innen der Forschungsgruppe „Gesellschaft und Ethik“ insgesamt 36,268 Menschen in 22 Ländern und insgesamt 15 Sprachen befragt. Diese Umfrage trägt u.a. zur Arbeit der Globalen Allianz für Genomik und Gesundheit (Global Alliance for Genomics and Health, GA4GH), der Standardisierungsorganisation der weltweiten Forscher*innen-Gemeinschaft im Bereich der Genomik, bei.

Insgesamt gaben etwa zwei von drei Befragten an, dass sie mit dem Themenbereich der Genetik und Genomik nicht vertraut sind. Während 52 Prozent der Befragten angaben, sie seien bereit, Ärzt*innen anonym ihre DNA und medizinische Informationen zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen, wäre nur eine/r von drei Befragten bereit, ihre bzw. seine Daten gewinnorientierte Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

Dr Richard Milne, einer der Autoren der Studie an der Cambridge Universität: "Was die Nutzung persönlicher genetischer und gesundheitsbezogener Daten betrifft zeigt unsere Umfrage eine große Diskrepanz im Vertrauen, das medizinischen Fachleuten einerseits, und Forscher*innen in gewinnorientierten Institutionen andererseits gegenübergebraucht wird. Gerade auch weil die Zusammenarbeit zwischen gemeinnützigen Organisationen und profitorientierten Firmen in vielen Ländern sehr üblich ist, ist dies ein Problem, das gelöst werden muss. Der Nutzen der Genomforschung kann sich nur dann entfalten, wenn Daten allen Forscher*innen offen stehen.“

Neben diesen allgemeinen Trends hat die großangelegte Studie aber auch nationale Unterschiede gezeigt.  Weniger als 30% der Befragten in Deutschland, Polen, Russland und Ägypten gaben an, dass sie mehr als einer Art von Forschungsorganisationen vertrauen, während dies in China, Indien, Großbritannien und Pakistan über die Hälfte der Befragten taten. In einigen Ländern - vor allem in Indien, aber in geringerem Maße auch in den USA, China und Pakistan - ist die Unterscheidung zwischen gemeinnütziger und gewinnorientierter Forschung weniger deutlich, wobei die Notwendigkeit, Daten mit gewinnorientierten Organisationen auszutauschen, etwas stärker akzeptiert wird.

Peter Goodhand, CEO der Globalen Allianz für Genomik und Gesundheit (GA4GH): "Kein einzelnes Forschungsinstitut oder Land wird ohne globale Zusammenarbeit in der Lage sein, zu verstehen, wie Gene und Umwelt zusammenwirken, um Krankheiten hervorzubringen. Die internationale Forschungsgemeinschaft muss harmonisierte Ansätze für die gemeinsame Nutzung anonymisierter genetischer und medizinischer Daten von Millionen von Individuen entwickeln, die das gesamte Spektrum der menschlichen Vielfalt repräsentieren. Wir müssen eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dafür schaffen, dass die Spende und der Austausch von Daten für die Menschheit von Nutzen ist, so dass alle Menschen die das wollen darüber mitentscheiden können, wie die Genomik die besten Ergebnisse für die Gesellschaft liefern kann".

Professor Anna Middleton, die Leiterin der Forschungsgruppe „Gesellschaft und Ethik“ und Hauptautorin der Studie: „Die Studie macht deutlich, wie wenig Menschen mit der Genomforschung vertraut sind, und wie gering die Bereitschaft ist, sich daran zu beteiligen. Dieses mangelnde Vertrauen in die Art und Weise, in der Daten (auch grenzüberschreitend) geteilt werden, könnte die Genomforschung erheblich behindern. Denn diese ist darauf angewiesen, dass Kliniker*innen und auch sowohl gemeinnützige und gewinnorientierte Forschung weltweit genetische Daten miteinander teilen können"

Professor Barbara Prainsack, Mitautorin des Papiers und Leiterin des deutschsprachigen Arms der Studie, fügt hinzu: „Es geht nicht nur darum, das Vertrauen der Bevölkerung zu erhöhen. Es geht darum, sicherzustellen, dass Forschungsinstitutionen Daten auf vertrauenswürdige Weise verwenden und teilen, und dass selbst bei gewinnorientierter Forschung ein Teil des Profits zurück in die Hände der Allgemeinheit gelangt.“

Professor Prainsack arbeitet derzeit auch zusammen mit Professor Christiane Druml in einem gemeinsamen Projekt mit dem Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (s.u.) an der Frage, wie genetische Information am besten an Patient*innen kommuniziert werden können.

Kontaktdaten:

Dr. Matthew Midgley
Pressestelle
Wellcome Trust Sanger-Institut
Cambridge, CB10 1SA
Telefon: 0044-1223 494856
E-Mail: press.office@sanger.ac.uk

Kontaktdaten in Österreich (und zum deutschsprachigen Arm der Studie):
Univ. Prof. Dr. Barbara Prainsack
Institut für Politikwissenschaft
Universität Wien
Telefon: 0043-650-9259723
E-Mail: barbara.prainsack@univie.ac.at


Veröffentlichung:


Middleton A., Milne R. and Almarri M.A. et al. (2020). Global public perceptions of genomic data sharing: what shapes the willingness to donate DNA and health data? American Journal of Human Genetics.

Finanzierung:

Diese Forschung wurde vom Wellcome Trust unterstützt (Grant 206194).

Weitere Informationen:

„Your DNA, Your Say“-Studie (YDYS): YDYS ist ein weltweites sozialwissenschaftliches Projekt unter der Leitung der Forschungsgruppe Gesellschaft und Ethik, Connecting Science auf dem Wellcome Genome Campus, Cambridge, Großbritannien. YDYS ist Teil der Arbeitsgruppe „participant values“ der GA4GH. Die Projekt-Website ist hier; Folgen Sie uns auf Twitter und besuchen Sie unseren Blog

Filmübersicht über das Projekt (in allen Sprachen): https://youtu.be/Dpl3DX0CvLg

Die Globale Allianz für Genomik und Gesundheit

Die Globale Allianz für Genomik und Gesundheit (GA4GH) ist eine internationale, gemeinnützige Organisation, die 2013 gegründet wurde, um das Potenzial von Forschung und Medizin zur Förderung der menschlichen Gesundheit zu beschleunigen. Die GA4GH-Gemeinschaft vereint über 600 führende Organisationen, die in den Bereichen Gesundheitswesen, Forschung, Patientenvertretung, Biowissenschaften und Informationstechnologie tätig sind, und arbeitet gemeinsam an der Schaffung von Rahmenbedingungen und Standards, die einen verantwortungsvollen, freiwilligen und sicheren Austausch von genomischen und gesundheitsbezogenen Daten ermöglichen. Unsere gesamte Arbeit baut auf dem Rahmen für den verantwortungsvollen Austausch genomischer und gesundheitsbezogener Daten auf.

„Connecting Science“

Die Mission des Wellcome Genome Campus „Connecting Science“ (Verbindende Wissenschaft) besteht darin, jedem Menschen die Möglichkeit zu geben, die Genomwissenschaft und ihre Auswirkungen auf Forschung, Gesundheit und Gesellschaft zu erforschen.
Wir bringen Forscher*innen, Menschen in Gesundheitsberufen und die Öffentlichkeit zusammen und schaffen Gelegenheiten und Räume, um die Genomikwissenschaft und ihre Auswirkungen auf den Menschen zu erforschen. „Connecting Science“ inspiriert zu neuem Denken, regt die Konversation an, unterstützt das Lernen und misst Einstellungen, wobei wir uns auf die bahnbrechende Forschung stützen, die auf dem Wellcome Genome Campus stattfindet.
connectingscience.wellcomegenomecampus.org

Das Wellcome Sanger Institut

Das Wellcome Sanger Institute ist ein weltweit führendes Genomforschungszentrum. Wir führen groß angelegte Forschungsarbeiten durch, die die Grundlagen des Wissens in Biologie und Medizin bilden. Wir sind offen und kooperativ; unsere Daten, Ergebnisse, Instrumente und Technologien werden weltweit geteilt, um die Wissenschaft voranzubringen. Wir übernehmen Projekte, die anderswo nicht möglich sind. Wir nutzen die Möglichkeiten der Genomsequenzierung, um die Informationen in der DNA zu verstehen und nutzbar zu machen. Wir werden vom Wellcome Trust finanziert und haben die Möglichkeit und Unterstützung, die Grenzen der Genomik zu erweitern. Unsere Erkenntnisse werden genutzt, um die Gesundheit von Menschen zu verbessern und das Leben auf der Erde zu verstehen. Erfahren Sie mehr unter www.sanger.ac.uk oder folgen Sie uns auf Twitter, Facebook, LinkedIn und in unserem Blog.

Der Wellcome Trust

Der Wellcome Trust steht im Dienst der Förderung der Gesundheit. Er tut dies, indem er großen Ideen zum Gedeihen verhilft. Wir unterstützen Forscher*innen und wir stellen uns großen gesundheitlichen Herausforderungen. Wir setzen uns für eine bessere Wissenschaft ein, und wir helfen allen, sich für Wissenschaft und Gesundheitsforschung zu engagieren. Wir sind eine politisch und finanziell unabhängige Stiftung. https://wellcome.ac.uk/

Über das Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases

Das Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI-RUD) wurde von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft im April 2016 in Zusammenarbeit mit dem CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Medizinischen Universität Wien und der St. Anna Kinderkrebsforschung gegründet. Die drei Partnerinstitutionen stellen gemeinsam mit dem CeRUD die wichtigsten Kooperationspartner des LBI-RUD dar, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Entschlüsselung von seltenen Erkrankungen des Immunsystems, der Blutbildung, und des Nervensystems liegt – diese Arbeiten bilden nicht nur die Basis für die Entwicklung von personalisierten Therapieansätzen für die unmittelbar Betroffenen, sondern liefern darüber hinaus einzigartige und neue Einblicke in die Humanbiologie. Das Ziel des LBI-RUD ist es, unter Einbeziehung der Expertise seiner Partnerorganisationen ein koordiniertes Forschungsprogramm zu etablieren, das neben den wissenschaftlichen auch gesellschaftliche, ethische und ökonomische Gesichtspunkte seltener Erkrankungen einbezieht und berücksichtigt.
Weitere Informationen: www.rarediseases.at