Wann: Donnerstag, 14. Dezember 2023, 18:30 Uhr
Wo: Konferenzraum, Institut für Politikwissenschaft, NIG, 2. Stock, Raum A 222, Universitätsstraße 7, 1010 Wien
Vortragende: Jeanette Ehrmann (Humboldt-Universität zu Berlin)
Moderation: Matthias Lorenz (IPW | Universität Wien)
Abstract
Wenn Hannah Arendt zufolge das Entscheidende von Revolutionen ist, „dass sie, haben sie sich einmal zugetragen, unvergesslich sind“, was bedeutet es dann, dass die Haitianische Revolution im gängigen Kanon der demokratischen Revolution als Marginalie, als Anomalie oder als Worst Case einer Revolution gilt? Der Vortrag entwickelt ausgehend von C. L. R. James‘ gegenkanonischem Werk Die schwarzen Jakobiner. Toussaint L‘Ouverture und die San-Domingo-Revolution (1938) eine Antwort in drei Schritten. Erstens problematisiert er die disziplinären Praktiken und die epistemologischen sowie methodologischen Begrenzungen einer Revolutionstheorie, deren Begriffe aufgrund ihrer uneingestandenen Komplizenschaft mit kolonialen Mythen und Metaphern, Fantasien und Fiktionen an dieser radikal antikolonialen und abolitionistischen Revolution scheitern. Zweitens entwickelt er entlang von James‘ Revolutionsepos und seiner Kritik der Meisterkonzepte eines kolonialen Liberalismus als auch eines orthodoxen Marxismus eine Deutung der Haitianischen Revolution in ihren mythopoetischen Dimensionen. Besonders in Toussaint Louvertures Dramaturgie eines revolutionären Republikanismus entfaltet sich ein Ermächtigungsprozess, der eine Befreiung jenseits des konstitutionellen und des proletarischen Skripts der Revolution vorwegnimmt. Zuletzt werden im Anschluss an James‘ Überlegungen zu einer nachträglichen Revision der schwarzen Jakobiner die verdrängten Protagonist*innen dieser Revolution sichtbar gemacht, die sowohl die Widersprüche als auch die präfigurativen Praktiken des bis heute andauernden Dramas der Dekolonisierung umso deutlicher hervortreten lassen.