Im Gedenken an Gudrun Hauer

Ich habe Gudrun Hauer vor etwa zwei Jahrzehnten kennengelernt, als LektorInnen-Kollegin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und als eine sehr politische Frau. Wir waren damals, gemeinsam mit zahlreichen anderen Frauen, in der feministischen Lektorinnen-Initiative Politea aktiv.

Von 1994 bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2013 unterrichtete Gudrun am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und war eine der ersten Lehrenden, die den Studierenden feministische Standpunkte und Perspektiven in der Politikwissenschaft vermittelten. Es ist eine lange Zeit, in der feministische Forschung in der Politikwissenschaft entstand, sich entwickelte, und sich schließlich einen Platz erkämpfte. Daran hat Gudrun am Institut für Politikwissenschaft wesentlich mitgewirkt.

Ihre Lehrveranstaltungen widmeten sich entsprechend ihren Forschungsschwerpunkten den Themen Lesben- und Schwulenforschung (Politik und Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung insbesondere in Österreich und Deutschland, Homosexualität und Nationalsozialismus, Heterosexismus und Zwangsheterosexualität als politische Kategorien im Kontext feministischer Theorie), Politik und Geschichte der Neuen Frauenbewegung, feministische Ökonomie, psychoanalytische Weiblichkeitstheorien, AIDS-Politik, und Sexualpolitik.

Politikwissenschaftliche Problem- und Fragestellungen betrachtete und analysierte Gudrun stets aus einer disziplinübergreifenden Perspektive, die auch von zeitgeschichtlichen, literaturwissenschaftlichen und psychoanalytischen Zugängen Anregungen bezog. Diese wissenschaftlichen Bereiche hatten sie schon während ihres Studiums an der Universität Salzburg, das sie 1987 mit einer Dissertation zum Thema „Ausgewählte Faschismustheorien Anfang der Dreißiger Jahre“ abschloss, interessiert.

Als akademische Lehrerin und Betreuerin von Bachelor-Arbeiten galt Gudrun als eher streng und jedenfalls immer sehr auf die Einhaltung akademischer Standards und wissenschaftlicher Redlichkeit bedacht. Diese beharrliche Einforderung hoher akademischer Standards wurde von vielen Studierenden sehr geschätzt. Im Online Kondolenzbuch der Tageszeitung Standard findet sich unter anderem der Eintrag: „Unvergessen Ihre Genauigkeit und wissenschaftliche Akribie bei der Betreuung meiner Abschlussarbeit. Ich habe durch Sie sehr viel gelernt. Herzlichen Dank Frau Dr.in Hauer.“ Ein weiteres Posting bezeichnet Gudrun als „eine einmalige Person und leidenschaftliche Akademikerin“.

Neben ihrem Engagement als Lektorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien hatte Gudrun über viele Jahre hinweg auch Lehraufträge an den Universitäten Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt zu Themen der Lesben- und Schwulenforschung inne.

Gudrun, die in einem der Nachrufe als „radikale Feministin der alten Schule“ bezeichnet wurde, war manchen sicher auch unbequem. Die Konsequenz mit der sie ihre politischen Überzeugungen und Positionen vertrat, machte ihr das Arbeiten in akademischen Institutionen manchmal nicht gerade leicht.

KollegInnen und Studierende am Institut für Politikwissenschaft werden sie als einen besonderen Menschen in Erinnerung behalten, als engagierte und zugleich theoretisch-reflektierende Feministin, kämpferische Aktivistin für die Lesben- und Schwulenbewegung, vor allem aber als eine anspruchsvolle Universitätslehrerin mit hohen akademischen Standards und großem Engagement in der Unterstützung der Studierenden.

Mit der Gesellschaft für politische Aufklärung war Gudrun insbesondere über die Vorbereitungsseminare im Rahmen der - gemeinsam mit dem NÖ Bildungs- und Heimatwerk - jährlich durchgeführten Studienreisen zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau verbunden. Gudrun hielt lange Jahre Vorträge zum Thema „Die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit“ und beeindruckte die TeilnehmerInnen der Studienreise immer wieder durch ihr umfangreiches und detailliertes Wissen über NS-Verbrechen sowie ideologische Dimensionen und strukturelle Aspekte des NS-Regimes – weit über ihr spezifisches Fachgebiet hinaus. Die Gesellschaft für politische Aufklärung dankt Gudrun ganz besonders für dieses kontinuierliche Engagement. Als wissenschaftliche Expertin und engagierte Kooperationspartnerin wird sie uns sehr fehlen.

Persönlich trauere ich um eine liebe Kollegin, und zugleich bin ich dankbar, dass ich in mehreren Kontexten mit Gudrun über viele Jahre zusammenarbeiten und im Laufe der Zeit auch ihre private Seite ein wenig kennenlernen durfte.

Karin Liebhart
Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft
Universität Wien


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